Mit seinem Film „Napoleon“ muss Ridley Scott derzeit viel Kritik von Geschichtsinteressierten einstecken, die den namensgebenden Protagonisten eher schlecht porträtiert sehen. Schließlich stimmen viele Fakten nachweislich nicht (selbst das Geburtsjahr Napoleons ist falsch) und auch die Charakterisierung hat wenig mit der tatsächlichen historischen Person zu tun. Dieser Napoleon (Joaquin Phoenix) ist erschreckend wenig charismatisch und viel zu sehr daran interessiert, seine untreue Ehefrau Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) zu beeindrucken, wodurch seine militärischen und vor allem politischen Erfolge deutlich in den Hintergrund treten.
Als Geschichtsstunde sollte man „Napoleon“, wie fast alle ähnlich gelagerten Filme von Ridley Scott, eher nicht verstehen. Der Regisseur orientiert sich meist nur an groben Fakten, um einen Rahmen für die von ihm gewünschte Geschichte zu haben, der sich dann auch gesicherte Erkenntnisse unterordnen müssen. Dass der Realismus der Inszenierung weichen muss, ist in Hollywoods Historiendramen durchaus üblich, um schönere Bilder zu erhalten – Mel Gibson bildet hier mit „Braveheart“ & Co. ein gutes Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Filme wie „Der Name der Rose“ oder „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, die ein weitgehend ungeschöntes Bild ihrer Zeit zeigen.
Für Ridley Scott sind Auseinandersetzungen mit Historikern zudem kaum etwas Neues: Schließlich hatte er für seinen Oscar-prämierten „Gladiator“ selbst welche engagiert, um die römische Kultur möglichst glaubwürdig darzustellen. Doch schon damals gab es hinter den Kulissen Auseinandersetzungen, bei denen sich Scott über die Meinung seiner Berater hinwegsetzte, von denen mindestens einer daraufhin kündigte.
Heute scheint ihn Kritik von dieser Seite noch weniger zu interessieren. Der „Sunday Times“ sagte er: „Wenn ich Probleme mit Historikern habe, frage ich: 'Entschuldigung, Kumpel, waren Sie dabei? Nein? Dann halten Sie die Klappe.“